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Hotel Extreme - Prolog
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Die Idee kam beim dritten Bier. Oder beim vierten. Genau genommen war’s egal,
weil nach dem zweiten eh alles egal war – auch die Anzahl der Biere.
Also saßen vier Leute – nicht namentlich bekannt – an einem Tisch, der
wahrscheinlich schon Geschichten erzählen könnte, wenn ihn wer fragt. Hat ihn
aber nie jemand gefragt. Weil in dieser Kneipe zwischen Provinz und
postindustrieller Verlassenheit macht man das nicht.
Da redet man lieber über Themenabende.
SM. Latex.
Und die tiefe, tiefe Enttäuschung, die der heutige Abend gebracht hat.
Vier Leute. Kein großer Plan. Nur Enttäuschung.
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„Kein Dreck. Kein Eisen. Kein Gefühl. Fesseln aus Leder,“ sagt Bettina.
„Es hätten nur noch die Plüschhandschellen gefehlt, und ich hätte das Safeword
gesagt.“
„Wieso kann man nicht einfach einen Ort mieten mit passender Atmosphäre?“
„Es gibt Domina-Studios – mit Käfigen,“ meint einer. Aber selbst seine Stimme
klingt müde, wie abgehört.
Ein kurzes Schweigen.
Jemand spielt mit dem Kondenswasser am Glas. Zeichnet Kreise, die nie enden.
Irgendwo im Hintergrund brummt ein alter Song aus den Lautsprechern. Zu laut.
Zu falsch.
„Immer dieselbe Leere. Immer dieselbe Pose. Keiner sieht dich wirklich.“
Bettinas Blick geht ins Nichts.
„Ich will was Echtes.“
Dann sagt sie es.
Leise, fast beiläufig – und doch wie ein Versprechen.
„Wir bauen unser eigenes Hotel.“
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Die Idee stand also im Raum.
Und wenn keiner widerspricht, bleibt sie halt da.
War ja auch sonst nichts Besseres da an dem Abend.
Dann kam die Sache mit dem Objekt.
Das klingt, als wüsste man schon, was man sucht.
Wusste man aber nicht.
Nur, was man nicht wollte:
Nichts mit Charme.
Nichts mit Plüsch.
Nichts mit Nachbarschaft, die gleich den Lärmpegel misst.
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Besichtigt wurden:
Eine frühere Pension mit Teppichen aus den Achtzigern, die noch nach
Chlorreiniger rochen.
Ein Gasthof, dem man ansah, dass hier mal jemand aufgegeben hat – nicht nur
wirtschaftlich.
Und ein Flachdachbau am Stadtrand, den man gleich wieder vergessen hat.
„Es muss leer sein, aber nicht tot,“ hat Bettina gesagt.
„Man soll noch was draus machen können.“
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Handwerker waren das nächste Problem.
Die meisten hatten entweder keine Zeit – oder zu viele Fragen.
„Was soll das werden?“ fragt der Fliesenleger.
„Ein Hotel.“
„Aha. Also normal?“
„Nicht ganz.“
Danach kam er nicht mehr. Der nächste kam gar nicht erst.
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Am Ende haben sie einen alten Gasthof gefunden.
Leer seit Jahren. Eine große Diele, abblätternder Putz – aber keine Schwammerl
an der Wand. Wichtig.
Der Keller war feucht, aber nicht nass.
Und das Dach hielt gerade noch zusammen, was man Heimat nennen könnte.
„Das ist es,“ sagte Bettina.
Ohne große Geste. Einfach so, als hätte sie’s gewusst.
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Und dann kommt Monique.
Niemand wusste, wie er wirklich hieß.
Vielleicht erinnerte sich nicht mal mehr er selbst.
Aber wenn er morgens in seinem schwarzen Satinkleid durch die Flure schwebte,
mit aufgeklebten Wimpern, die beim Blinzeln vibrierten wie Insektenflügel – dann
war klar:
Das hier war sein Reich.
Die Haushälterin.
Die stille Beobachterin.
Die, die alles sah – und nie sprach, wenn es nicht nötig war.
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Er erschien immer vor den ersten Gästen.
Vanilleduft, gemischt mit Desinfektionsmittel.
Lippen tiefrot. Perücke akkurat. Fingernägel lackiert – fast täglich in anderer
Farbe.
Und immer: Stilettos. Hoch genug, um Respekt zu erzwingen.
Was er außerhalb war?
Anwalt vielleicht. Oder Hausmeister.
Egal. Man fragte nicht.
Hier durfte er die Rolle leben, die draußen keinen Platz hatte.
Monique war Monique.
Und wer es wagte, ihn anders zu nennen, bekam ein Lächeln wie aus Stahl – und
den Satz:
„Aber Sir, ich bitte Sie – ich bin nur eine einfache Haushaltshilfe.“
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Er war das Rückgrat des Hauses.
Wischte die Spuren der Nächte weg.
Ordnete Seile. Prüfte Gitter, die wieder glänzen mussten.
Jeder Raum atmete seinen Duft, trug seinen prüfenden Blick.
In der linken Tasche: ein Schlüsselbund.
In der rechten: Handschellen.
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Wenn neue Gäste kamen – nervös, neugierig, kurz vorm Umkehren – war es oft
nicht Bettina, die sie empfing.
Sondern Monique.
Mit einem Knicks.
Mit einer Stimme, die zu süß war, um sofort beunruhigend zu wirken:
„Willkommen im Haus. Möchten Sie sich kurz frisch machen? Man wird Sie gleich
abholen.“
Dann folgte das Klack-Klack der Absätze auf Stein.
Kein Geräusch – ein Takt. Ein Befehl.
Er bewegte sich wie eine Tänzerin, die nie gefallen ist.
Nylons, die im Licht schimmerten.
Ein Kleid, das nur knapp die Wahrheit verbarg.
Alles saß. Alles wirkte.
Und niemand traute sich, wegzusehen.
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Manchmal hörte man ihn summen.
Édith Piaf. Milord.
Töne wie Parfum, die sich in die Gänge schlichen.
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Bettina nannte ihn nie beim alten Namen. Niemand tat das. Nur:
„Monique, der Kerker muss vorbereitet werden.“
„Monique, im Atelier fehlt ein Seil.“
„Monique, das neue Paar ist gleich da.“
Und Monique verneigte sich.
Und verschwand.
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Im Haus ist es Tradition, dass gewisse Helfer Ketten tragen – nicht als Strafe,
sondern als Zeichen:
Ich diene. Ich bleibe. Ich bin bereit.
Auch Monique trug diese Ketten.
Aber Monique war mehr als ein Teil des Hauses.
Monique war das Haus.
Die Maske. Das Lächeln. Der Schatten.
Die Hand, die Ordnung bringt – oder straft, wenn Bettina müde ist.
Und auch die, die die Wunden danach versorgt.
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Wenn du am Ende einer langen Nacht allein durch die Flure tappst –
und plötzlich das Klack-Klack hörst...
Dann weißt du: Du bist nicht allein.
Denn Monique ist schon da.
Immer.
Und flüstert dir, wenn du nicht mehr kannst:
„Aber mein Lieber... das hier war doch erst der Anfang.“
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Das Erste, was fertig wurde, war der Kerker.
Ein alter Weinkeller.
Jetzt mit Stein ausgekleidet, Ringe in den Wänden, ein Pranger aus schwerem Holz
in der Mitte.
Gebaut von Erik.
Groß. Ruhig. Tätowiert. Einer, der nicht viel redet.
Er arbeitet. Die anderen reden.
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Als das letzte Gitterelement fest verschweißt ist, fährt er mit dem Finger über
das Metall, prüft die Naht, murmelt:
„Da kommt keiner raus.“
Da steht Bettina schon hinter ihm.
Klemmbrett. Lächeln.
Die Stimme einer Frau, die nie fragt, was möglich ist – sondern nur, wann es
fertig ist.
„Du hast gute Arbeit gemacht,“ sagt sie.
Er hebt eine Braue.
„Das klingt fast wie ein Kompliment.“
Dann: Schritte.
Zwei Schatten lösen sich aus der Dunkelheit.
Tür zu. Schloss klickt.
„Ausziehen,“ sagt Bettina.
Erik zögert. Kurz. Dann nicht mehr.
Hose. Shirt. Unterhose.
Alles fällt langsam. Kein Protest. Nur Stille.
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Sie führen ihn in die Zelle.
Der Pranger wartet. Echt. Massiv.
Er legt sich hinein.
Sie ziehen die Schrauben fest.
Er wusste, dass es so kommen würde.
Dass jeder, der hier etwas erschafft, erst einmal darin verschwinden muss.
„Wie lang?“ fragt er.
„Bis morgen. Oder bis du was sagst.“
„Ich sag nix.“
„Dann eben bis Montag.“
So fängt es an.
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Später kommt der Stall.
Heu. Tröge.
Draußen: Ketten in Bäumen.
Eine Wiese wird umgegraben. Für das Kreuz. Natürlich.
Dann der Irrenraum.
Schalltot. Weiße, gepolsterte Wände.
Gestaltet von einer, die sich in der Zwangsjacke wohler fühlt als im Bikini.
Und das Shibari-Atelier.
Licht. Bambus. Seile.
Alles ordentlich. Still.
Wie Meditation mit Knoten.
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Aber das Herz bleibt der Kerker.
Immer.
Erik bleibt auch.
Wird Teil des Hauses.
Geht durch die Dunkelheit, manchmal mit der Hand an der Wand, als würde er sich
selbst ertasten.
Manchmal steht er einfach nur da. Und schaut das Gitter an, das er selbst
gemacht hat.
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Und wenn Gäste kommen – zögerlich, neugierig, nervös – dann sagt er nur:
„Wollt ihr hören, wie die Tür klingt, wenn sie zufällt?“
Und er lässt sie hören.
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Oben wischt Monique.
Mit einem Lied auf den Lippen.
Und den Geheimnissen der Gäste in der Schürzentasche.
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Dieses Hotel?
Das ist kein Ort.
Das ist ein Zustand.
Ein Versprechen.
Ein Platz, den man nicht bucht.
Sondern den man sich verdient.
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Posted on : Jul 5, 2025
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