Das hat so angefangen:
Bettina, Sandra, Ilse und ich – also wir vier – haben Karten gespielt.
Nicht um Geld, das ist eh zu langweilig. Sondern um Wünsche. Aufgaben. Mutproben.
Und der Martin war natürlich auch dabei.
So wie immer – dabei, aber ohne zu verstehen.
Weil er glaubt, er muss. Weil sonst vielleicht wer merkt, dass er nicht so klug ist, wie er redet.
Er hat verloren. Nicht einmal, sondern konsequent.
Jede Runde ein bisschen mehr. Und bei Runde acht sagt er dann:
„Wenn ich jetzt noch einmal verlier, könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt.“
All in, quasi. Nur dass er keine Ahnung hatte, was wir mit dem Pot machen würden.
Bettina war die Erste.
„Vielleicht wickeln wir dich ein wie ein Geschenk“, hat sie gesagt, halb lachend.
Sandra hat nachgelegt:
„Oder wir machen einen Gartenzwerg aus dir. Nur echt. Mit Sockenmütze und allem.“
Ilse?
Die hat nur gefragt, ob jemand noch Tape hat.
Und da wussten wir alle: Jetzt ist es ernst.
Zehn Minuten später war der Martin der stillste Gast auf der Terrasse.
Rotes Klebeband, glänzend im Licht. Nur der Kopf noch frei.
Die Arme einzeln umwickelt und an den Oberkörper gedrückt.
Und das Beste: Er war nicht auf einem Stuhl.
Er war der Stuhl.
Das alte Gestell ohne Lehne, ohne Sitzfläche – das er seit Wochen „bald mal reparieren“ wollte.
Jetzt war er die Reparatur.
Wir haben ihn dran- und durchgefädelt wie einen neuen Bezug.
Schön sorgfältig. Keine Gewalt. Alles mit Liebe.
Und er?
Hat sich gewehrt, aber nicht ernsthaft.
So wie ein Hund, der das Kommando kennt, aber noch kurz zeigen muss, dass er theoretisch auch anders könnte.
Ich glaub, insgeheim hat’s ihm gefallen.
(An dieser Stelle, sollte ein Bild eingefügt sein, aber der Blogeditor ist nicht gut. Deswegen der direkte Link:)
https://www.imagefap.com/photo/1961784676
Und dann der Mund. Der hatte noch zu viel Freiheit.
Bettina hat’s als Erste gemerkt.
Sie hat ihre schwarze Stumpfhose ausgezogen, ganz nebenbei, als wär’s Teil ihrer Abendroutine.
Geknüllt, zart – wie ein Vögelchen. Dann mit zwei Fingern rein in den Mund.
„Nicht beißen, Martin. Die war teuer.“
Sandra war schon halb am Lachen.
Hat ihren roten Spitzenslip unter dem Kleid hervorgeholt – die gute Date-Unterwäsche.
„Schau, Martin, ich hab dir was Weiches zum Kuscheln mitgebracht.“
Zack, rein damit.
Ilse war sachlich. Wie immer.
Zieht die Socke aus dem Sportschuh, schüttelt sie symbolisch aus und sagt trocken:
„Ein wenig schwitzig, aber das ist ja jetzt sein Problem.“
Martin hat versucht zu reden – oder zu protestieren.
Aber es kam nur ein dumpfes mhhmm, irgendwo zwischen Empörung und Protest.
Dann war ich dran. Hab alles nochmal rausgeholt.
Alles schön feucht schon.
Und er hat mich angeschaut, groß, wie ein Sofa, das nicht weiß, ob’s neu bezogen oder weggeworfen wird.
Hab ihm in den Mund gespuckt. Wortlos.
Die anderen haben kurz geschaut.
Dann Bettina:
„Na gut. Dann halt alle.“
Und dann sind sie durch. Eine nach der anderen.
Wie bei einem Geburtstag, wo man nacheinander anstößt.
Und ich?
Hab alles wieder reingestopft. Schichtweise. Ohne Hast.
Bis nichts mehr zu hören war.
Dann den eigenen String runtergezogen.
Schwarz, dünn, aus Seide, ein wenig zerrupft von der Waschmaschine. Aber eindeutig meiner.
Nicht in den Mund – auf die Nase.
Der Zwickel: genau mittig.
Er hat die Luft eingezogen. Natürlich tut er das.
Was bleibt ihm auch anderes übrig?
Dann kam das Tape.
Langsam, genüsslich, einmal rundherum.
Stirn. Hinterkopf. Augen. Mund. Ohren.
Einmal, zweimal, dreimal.
Als wär er ein Geschenk.
Und mein Slip die Schleife.
Die anderen haben nix gesagt.
Aber sie haben geschaut.
Und sie haben’s verstanden.
Er hat nochmal gezuckt. Ganz leicht.
Vielleicht wegen dem Stoff.
Vielleicht wegen der Erinnerung.
Hab’s ignoriert.
War beschäftigt mit dem Verpacken.
Nur der Wind in der Lichterkette.
Und mein Martin, der endlich einmal still war.
Wir hoben die Gläser.
„Auf Männer, die endlich mal zuhören – ohne Nachfragen. Ohne Kommentare. Ohne Flucht.“
Ilse holte ihr Handy raus und bot an Fotos zu machen. Jede wollte eins.
**Bettina**: stolz, erhobenes Glas – „Ich bin Kleopatra!“
**Sandra**: rittlings, verrutschtes Kleid – „Auch Männer sollte man einreiten.“
**Ich**: ruhig und versucht dominant zu blicken – „Dies ist mein Platz!“
Sandra hat vorgeschlagen, das Bild zu posten – Bettina hat ihr das Handy weggezogen.
„Das bleibt in der Runde.“ Ohne Lächeln.
Ilse hat geschwiegen. Aber sie hat genickt. Nur ganz leicht.
Ich bin einfach sitzen geblieben, auf Martin.
Wir haben weiter Karten gespielt. Weiter getrunken.
„Will jemand noch Rotwein?“
„Nicht Martin.“
Kurzes Lachen. Weiterspielen.
Martin war einfach still.
Vielleicht war da noch irgendwo ein Mensch – unter all dem Tape, unter all den Stoffen.
Aber das interessierte niemanden.
An diesem Abend war er ein Stuhl.
Und das war’s.
Später wollte Bettina ihn schon losmachen.
Aber ich hab gesagt:
„Er bleibt so. Ich möchte vielleicht später noch etwas auf der Terrasse sitzen.“
Die Mädels haben geschaut, ein bissl unentschlossen.
Dann gelacht. Eh logisch.
Beim Gehen hat Sandra sich nochmal umgedreht, Martin angeschaut – schön verpackt – und gesagt:
„Das war doch mal ein Einsatz mit Folgen.
Nächste Woche wieder? Vielleicht mit zwei Verlierern?“
Bettina hat gegrinst. Ilse hat nur genickt.
Ich hab nichts gesagt. Ich hatte ja schon gewonnen.
Mit leichten Schwankbewegungen und schwerem Kopf sind meine Freundinnen dann heimgegangen.
Ich bin geblieben.
Hab mich auf ihn gesetzt. Direkt drauf.
Martin, mein neuer Stuhl.
Kein Wackeln. Kein Knarren. Kein „Schatz, was soll das?“
Nur Tape und Stille.
Beine ausgestreckt.
Den anderen Stuhl als Fußablage genutzt – den ohne Ehemann drin.
Bequem. Kein Kissen nötig.
Wärme von unten, wie eine Sitzheizung. Bloß leise.
Noch ein Glas eingeschenkt.
Der letzte Schluck vom Rosé.
Ein bisschen warm – war mir wurscht.
So könnte es bleiben.
Nicht für immer.
Aber für eine Weile.
Für diese eine Nacht.
Für mich.
Hab gegähnt. Nicht vor Langeweile – nur, weil es spät war.
Das Glas war leer. Der Wind hatte nachgelassen.
Fertig für heute.
Hab das Licht auf der Terrasse gelöscht.
Er konnte es eh nicht sehen.
Bin schlafen gegangen.
Martin blieb, weil er verloren hat.
All in – und untergegangen.
Ich brauch ihn morgen früh.
Zum Frühstück.
Ich ess gern draußen.
Und ein guter Stuhl bleibt, wo man ihn braucht.
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